Good-bye, Lenin
Das hätte sich der Genosse Lenin dann doch nicht gedacht: im heutigen Rumänien schnöde am Rande von Bukarest außerhalb eines alten Fürstenhofes entsorgt zu werden. Bis 1989 hatte das Kommunistenidol noch zweifach an die zehn Bronzemeter hoch an zentralen Plätzen der Hauptstadt gewacht. Und jetzt flossen EU-Fördermittel doch hier am Fürstenschlösschen Mogosoaia ins Erbe des Klassenfeinds.
„Wir brauchen Lenin halt längst nicht mehr“, sagt keck die Bedienung im Fürstenhof-Restaurant. Weshalb den kolossalen Leninköpfen nichts anders übrig bleibt, als sich im Stoppelfeld abseits der Bukarester Touristenströme wenigstens gegenseitig zu stützen.
Fest eingeschworen auf die EU-Staatengemeinschaft präsentiert sich dann auch das Herz der 1,8-Millionen-Einwohner-Stadt am Flüsschen Dambovita. Über die einstmals Paris nachgeahmten Prachtalleen, die Siegesstraße Calea Victoriei und die Boulevards Magheru oder Balcescu, rauschen die Luxusmodelle der großen Automobilhersteller.
In den Schaufenstern lockt edle Designermode. Am Triumphbogen, am kuppelgedeckten Athenäum, Sitz der Staatsphilharmonie, sowie drüben an der altehrwürdigen Cretulescu-Kirche dreht ein TV-Team den Blick ins historische „Paris des Ostens“. Hinter säulengeschmückten Fassaden haben immer mehr internationale Hotelketten ihre Vier- und Fünf-Sterne-Häuser eröffnet.
Auch das Flair der Bukarester Bars, Clubs und Diskotheken kann sich längst mit dem Nachtleben der anderen europäischen Metropolen messen. Ohrenbetäubendes hämmert am späten Abend aus den für Rumänen sündhaft teuren Jet-Set-Diskos.
Auch internationale Stars und Sternchen tanzen hier ab. Gloria Gaynor und Pink treten auf, die Rolling Stones. In Szene-Treffs improvisieren Jazz-Pianisten im Kerzenschein. Hoppla, war das nicht eben Kiefer Sutherland? Der US-Filmstar steht gerade in den hiesigen Studios vor der Kamera.
Nebenan an den Internetanschlüssen trifft sich das junge Bukarest, bevor es weiter in die Clubs im Studentenviertel am Platz des 21. Dezember 1989 geht. Hier, wo damals die Revolte der Jungen in den Umsturz des Systems mündete und noch heute Kreuze an die „Helden des Landes“ erinnern, sieht es nicht mehr ganz so glamourös aus.
Die einheimische Reiseleitung glaubt, die Gäste jetzt unbedingt zum sogenannten „Palast des Volkes“ geleiten zu müssen. Um den monströsen Bau herum wurden über Jahre Tribünen für Formel-3-Rennen aufgebaut worden, mit denen man die internationale Motorsportszene an den engen Stadtkurs zu locken hoffte.
Drinnen wirkt der Protzpalast grau, kalt und absolut stillos. In den zahllosen, ins Leere führenden Gängen ist gleichsam ein letzter Hauch des größenwahnsinnigen Diktators spürbar, der hierfür in den Achtzigern ganze historisch wertvolle Stadtviertel wegrasieren ließ.
Vor der Kulisse des Nationaltheaters waschen an einer Zierbrunnenanlage Roma-Frauen ungeachtet der Passantenkommentare ihre Wäsche aus. An den Metroeingängen schnüffeln Kinder an Plastiktüten. An den Straßenkreuzungen prangen gigantische Werbeplakate.
„Unsereiner hat heute besser mehr als einen Job“, erzählt die Arzthelferin, die in einem Cafe aushilft. Freunde verdienten sich am Feierabend per Bücherverkauf an der Straße etwas hinzu. Derweil fahren Touristenbusse vorbei.
Da lässt es sich erst wieder in einem der gemütlichen Straßencafés im Künstlerviertel ausspannen. Milchig dringt das Licht durch die getönten Scheiben. Da vorne zieht jemand genüsslich an seiner Pfeife. Vis-à-vis spielen zwei Männer Schach. Nebenan blättern Frauen in internationalen Magazinen. Büroschluss in Bukarest. Nicht viel anders als in Berlin, Köln oder München. (Beitrag von 2016)
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