Mit einer "Bibel für die Armen": Kloster Sucevita
In diesem Bukowina-Tal leuchtet schon von weitem ein Mauergeviert mit mächtigen Türmen und einer von außen bunt bemalten Kirche hervor: Kloster Sucevita. Kühl ist hier die Bergluft auf mehr als 500 m Höhe. Auf einer Allee steuert man direkt auf das große Ensemble aus Wehr- und Sakralbauten zu. Hohe, dicke Mauern aus dem späten 16. Jh. bilden ein imposantes Viereck. Massive Strebepfeiler, Schießscharten und Wehrgänge verstärken den Eindruck, dass es sich auch bei diesem Moldau-Kloster um eine wuchtige Festungsanlage gegen anrückende Osmanenheere handelte.
Sucevita war also damals ein Glied in der Kette klösterlicher Verteidigungsanlagen. Gleichzeitig ist es als prächtiges Exemplar moldauischer Sakralkunst zu werten, die von der Kunstgeschichte als ›Byzanz nach Byzanz‹ gelobt wird. Beim Betrachten der über und über mit immer noch leuchtenden Außenfresken bemalten Kirchenfassaden lässt sich das ikonographische Programm der Schwesternkirchen Humor, Voronet, Moldovita und Arbore wiederfinden.
An den Apsiden schreiten die in gelb-rote byzantinische Gewänder gekleideten Bittenden zu Christus. Im Süden findet sich der Lobgesang auf Maria, der Akathistos Hymnos. Auf blaugrünem Grund schillern auch die vielen rot-grün-gelb gemalten Gestalten des Stammbaums Christi, der Wurzel Jesse. Und an der Vorhalle ist das Thema des Jüngsten Gerichts aufgegriffen.
An der Nordwand entdeckt man neben Szenen aus Heiligenlegenden die Himmelsleiter des Johannes Klimax. Diese große, dekorative Komposition ist diagonal in zwei Sphären geteilt: in die himmlische der Ordnung und in die der Hölle, des Chaos. Hier schweben mit ausgebreiteten Flügeln Engel zum Paradies, steigen die Auserwählten Stufe um Stufe die Tugendleiter hinauf.
Dort werden entsetzte Heiden und Sünder durch grinsende Teufel von den Sprossen der Leiter in den Höllenschlund gezogen. In der Himmelsleiter von Sucevita begegnet uns also der gemalte Triumph der christlichen Idee, wenn die Realität der Zeit auch etwas anders aussah. Immer wieder könnte man um diese bemalte Kirche herumgehen und dabei die unterschiedlichen Schattierungen der Farben studieren, die bei jeder Freskengruppe neu erscheinen.
Bis heute sind nicht alle Geheimnisse der damaligen Künstler gelüftet worden. Diese Maler müssen ihre strahlenden Farben per Tiefentechnik so geschickt auf den feuchten Verputz aufgetragen haben, dass diese den Stürmen der Jahrhunderte erstaunlich gut trotzen konnten. Dennoch sind natürlich auch hier in den letzten Jahren erschreckende Schäden durch die voranschreitende Umweltverschmutzung zu beklagen.
Wer durchs Außentor getreten ist, der spürt sofort das rege Klosterleben. Denn hier im Innenhof kreuzen nicht nur fotografierende Besucher und geschäftig herumeilende Nonnen den Weg. Einheimische werden an langen Tischen von den Klosterschwestern beköstigt. Mönche und vollbärtige Priester streben zum Gottesdienst. Und manche lassen sich auch ab und zu einmal in fließendem Englisch in ein heiteres Gespräch mit den Touristen ein. Derweil wird draußen vor dem Klostertor ein Dorfbewohner feierlich zu Grab getragen.
In ärmlichen Pullovern, Röcken und Kopftüchern, aber ebenso gottesfürchtig wie die Frauen der vergangenen vier Jahrhunderte, stehen drinnen einige fromme Dörflerinnen vor diesen Fresken, die noch heute wie eine aufgeschlagene Bilderbibel wirken. Hier wird deutlich, dass diese Kirchenwände irgendwie noch immer ›Bibeln für die Armen‹ sind, Bibeln für die des Lesens unkundigen Gläubigen der vergangenen und heutigen Zeiten.
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